Zeit heilt nicht

Zeit heilt nicht

Christiane Hörbiger, die große Dame der deutsch-österreichischen Schauspielkunst, ist am vergangenen Mittwoch verstorben. In einem Interview mit der B.Z. hat sie vor einigen Jahren auf die Frage, ob die Zeit alle Wunden heilt, geantwortet: „Das stimmt nicht“. Gemeint war der Verlust ihrer großen Liebe Gerhard Tötschinger, der im Jahr 2016 nach 32 gemeinsamen Jahren starb, kurz bevor sie heiraten wollten.

Die „Zeit heilt alle Wunden“ und „Trauer fliegt auf den Flügeln der Zeit davon“, heißt es in Traueranzeigen. Nein, sie bleibt, vielleicht nicht bei jedem, aber in Gesprächen mit Angehörigen höre ich oft viele Jahre nach dem eigentlichen Verlust noch: Es tut immer noch weh. Es ist als ob es gestern war. Ich denke immer noch, gleich geht die Tür auf und da steht er/sie. Es fühlt sich immer noch so an als ob ich entzwei gerissen wurde.

So geht es mir auch. In einem Moment, der nichts mit dem Ereignis des Verlusts zu tun hat, nicht durch eine Erinnerung verursacht, etwa ein Geruch, den wir mit dem geliebten Menschen verbinden, eine Musik, die wir zusammen gehört haben, ein Moment, der vielleicht sogar unbeschwert ist, taucht sie plötzlich auf – die Trauer. Ein lauerndes Raubtier, das mich von hinten anspringt, bäuchlings auf den Boden wirft. Da war doch garnichts, warum jetzt? Mit der Zeit habe ich  aufgehört mir diese Frage nach dem Warum zu stellen, auch nicht mehr zu strampeln um mich aus den Klauen zu befreien. Ich bleibe am Boden liegen, kenne dieses Gefühl, wenn das Raubtier auf mich springt. Nach einer Weile stehe ich auf, streife es ab dieses wilde Tier. Bis zum nächsten Sprung.

In dem Interview von 2018 sagte Christiane Hörbiger auch: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich da oben eines Tages alle meine Lieben wiedersehe, das wäre schön.“  Eine Hoffnung, die ich teile. Dann verschwindet auch das Raubtier.

Bodhisattvagelübde vom indischen Weisen Shantideva

Bodhisattvagelübde vom indischen Weisen Shantideva

Möge ich ein Schützer sein für alle, die Schutz benötigen,

ein Führer für alle, die auf dem Weg sind,

ein Boot, ein Floß, eine Brücke für alle, welche die Wasser überqueren wollen.

Möge ich eine Lampe in der Dunkelheit sein,

ein Ruheplatz für die Geschwächten,

heilsame Arznei für jene, die ihrer bedürfen.

Möge ich Füllhorn sein und Wunderbaum.

Möge ich der grenzenlosen Vielfalt

aller lebenden Wesen

Unterhalt und Befreiung bringen,

unerschütterlich wie Himmel und Erde,

bis alle Wesen frei sind von Leid und Erleuchtung gefunden haben.

Shantideva war nach buddhistischer Überlieferung ein Königssohn aus Südindien, der in der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts lebte und Mönch im Großkloster Nalanda wurde.

Sie fragen sich warum dieser Text, eine Art Absichtserklärung, hier steht? Als ich 2020 im ÖHD Leichlingen den Kurs als ehrenamtliche Sterbebegleiterin begann, bekam der Text, der mich schon seit langer Zeit begleitet, eine tiefere Bedeutung. So machen sich „Sterbende auf einen Weg“, manchmal ist dieser Weg abrupt zu beschreiten, eine schnell verlaufende tödliche Erkrankung, ein schwerer Unfall, mitunter bleibt auch Zeit sich von allem, was dieses Leben ausmachte, zu verabschieden.Wir können kein Leid mindern, aber wir können mittragen, wir können keine Erleuchtung bringen, aber versuchen ein Licht in eine dunkle Zeit zu bringen. Wir können versuchen mit unserer Zuwendung, Liebe und unserem Mitgefühl Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten, indem wir eine Weile „mit im Boot“ sitzen, „Licht bringen“, „Brückenbauer“ sind.

Wir alle kommen am Ende „an“, dessen bin ich mir sicher.

 

Wo ist, oh, Tod dein Sieg (von Klaus Schwope)

Wo ist, oh, Tod dein Sieg (von Klaus Schwope)

Wo ist, oh, Tod dein Sieg

Wo ist, oh, Tod dein Stachel?

(1. Kor. 15.55)

Ich bin die Auferstehung

und das Leben;

Wer an mich glaubt, wird leben, auch, wenn er stirbt.

(Joh. 11,25)

Seit 9 Jahren bin ich als ehrenamtlicher Mitarbeiter im Ökumenischen Hospizdienst Leichlingen tätig. Die Begleitungen während dieser Zeit mit ihren Höhen und Tiefen sind für mich persönlich intensiv bereichernd. Ein ganz entscheidender Faktor innerhalb der Zeit mit den sich mir anvertrauenden Menschen spielt dabei mein Glaube an die Frohe Botschaft der Bibel (s.o.). Hierin ist die Auferstehung Jesu Christi die zentrale Aussage, die mir die lebendige Hoffnung gibt über den Tod hinaus!

Es ist mir wichtig diesem Bekenntnis im Alltäglichen wie auch in der Hospizarbeit Ausdruck zu verleihen. Diese Hoffnung auf ein Leben danach möchte ich den Menschen mit deren Einverständnis bekannt machen. Dies kann im Gespräch, der offenen und stillen Fürbitte geschehen, es wird keinerlei Druck ausgeübt.

So durfte ich bei meiner letzten Begleitung für einen Atheisten an seinem Krankenbett beten.

Klaus Schwope

Meine erste Begleitung (von Petra Wodaege)

Meine erste Begleitung (von Petra Wodaege)

Anfang März habe ich Frau X. kennengelernt. Ich begegnete einer starken Frau, die fest in ihrem Glauben verwurzelt war. Sie berichtete mir, dass Gott und Jesus sie ihr Leben lang begleitet haben, in guten wie in schweren Zeiten. Für sie war es wichtig, einen Partner zu finden, mit dem sie ihren Glauben teilen konnte. Frau X. hatte ihn in ihrer Gemeinde gefunden. Sie waren über 50 Jahre verheiratet und mehrfache Urgroßeltern.

Frau X. wußte, dass sie nicht mehr lange zu leben hat.

Bei meinem nächsten Besuch war ich vorbereitet. Ich brachte das Buch mit „Ich geb´ dir einen Engel mit…“ und fragte sie, ob ich ihr eine Geschichte vorlesen soll. Sie antwortete: „Lesen sehr gerne, aber bitte aus der Bibel und ich möchte die Passionsgeschichte hören.“ Ich habe ab diesem Tag bei jedem Besuch die Passionsgeschichte vorgelesen. Es war berührend, wie aufmerksam sie zuhörte und einige Sätze mitsprach. Über die Passionsgeschichte sind wir gut ins Gespräch gekommen über das Leben und das Sterben.

Sie war bereit zu gehen und das im Bewusstsein, „nach Hause“ zu kommen. Sie hatte sich sehr gewünscht, in der Zeit um Ostern zu sterben.

Frau X. ist im Mai 2020 friedlich eingeschlafen. Sie hat mir den Einstieg in die Hospizarbeit leicht gemacht. Ich bin sehr dankbar für diese Begegnung.

Petra Wodaege

Gibt es gutes Sterben? (von Sylvia Hruzik)

Gibt es gutes Sterben? (von Sylvia Hruzik)

Können wir vertrauensvoller sterben, wenn wir tief im Glauben verankert sind? Bedeutet Glaube an ein Danach, dass ich leichter sterbe, eher loslassen kann? Viele Fragen – letztendlich können wir uns in der Sterbebegleitung immer wieder nur annähern. MIT- Erfahren, MIT- Erleben, MIT- Tragen. Und MIT- unter heilige Momente erleben.

Ich hatte das große Glück, dass ich meinen Vater bis zu seinem letzten Atemzug begleiten durfte. Am Tag vor seinem Tod bat er mich ein Blatt Papier und Bleistift zu holen. In der Nacht zeichnete er, schon sehr geschwächt und unter größter Atemnot, eine Brücke, die über einen Fluss führt, hin zu einer anderen Seite. Mein Vater war, wie ich es auch bin, kirchenfern, doch so glaube ich vertrauender Mensch. Das Bild zeigte mir, es gab ein Danach für ihn, ein Ziel. Er ging auf etwas zu. Und er hat mir mitgegeben, dass wir in der Sterbebegleitung auch eine Art Brückenbauer sein können, wenn sich die Grenzen von Körper, Raum und Zeit auflösen, da sein und den letzten Weg eines Menschen eine Weile MIT- Gehen.

Dort werden wir ruhen und schauen, schauen und lieben, lieben und loben. Das ist es, was am Ende sein wird ohne Ende.

Heiliger Augustinus

Jesus lebt: Was bedeutet das für die Hospizarbeit? (von Christine Schwung)

Jesus lebt: Was bedeutet das für die Hospizarbeit? (von Christine Schwung)

In der Hospizarbeit, denken sicher viele, sind wir ganz nahe dran, an diesem Thema der Auferstehung, der Frage: „Was kommt danach?“

Ja, wir sind nahe dran, aber immer nur so nahe, wie wir es selber sind und der Mensch, den wir begleiten und wie innig unsere Beziehung zum Menschen ist, den wir begleiten. Was sicher ist, ist die Bereitschaft eines jeden Ehrenamtlichen, sich mit diesem Thema des Sterbens und der Frage nach dem Danach auseinanderzusetzen. Es mag Neugierde sein, eigene Ängste, ein tiefer Glaube, einfach nur das Bewusstsein einer innigen Liebe und der Wunsch, in Liebe einfach da zu sein. Sie begegnen dem Sterbenden mit offenem Herzen und Respekt vor seinem ureigenen Weg in die andere Welt. Diese Begegnung mit Sterbenden, mit dem Sterben an sich, verändert uns. Wir werden demütiger, dankbarer, weicher, liebevoller und manchmal glaubend.

Sterben ist persönlich und so individuell wie der Mensch, der lebt im Sterben. Ergreifend ist ein Sterben, welches bewusst und in Freude und im Wissen um die eigene Unsterblichkeit geschieht. Wichtig für uns Begleitende ist der Respekt vor dem Glauben oder Nicht-Glauben eines jeden Menschen, die Empathie und Offenheit, Fragen und Wünsche zu erkennen und ihnen Erfüllung zu bringen, den eigenen Unglauben hinten an zu stellen und alles für den Sterbenden zu tun, wenn er Wünsche äußert. Ebenso wichtig ist die Demut und das Bewusstsein der eigenen Begrenztheit. Was wissen wir, was in diesem Prozess des Sterbens mit der Seele, der Persönlichkeit des Sterbenden geschieht?

Ostern und Auferstehung hat für uns im Hospiz die Bedeutung, die der Sterbende ihm gibt oder nicht und ist im Tun nicht an den oder die Feiertage gebunden. Cicely Saunders (1918 – 2005), die Begründerin der modernen Hospizbewegung, die sich als junge Frau als Atheistin bezeichnete und ab 1945 als Christin, erkennt diese Entwicklung als Folge ihrer tiefen Begegnungen mit Menschen, die auf der letzten, oft leidvollen Strecke ihres Lebens von Cicely Saunders begleitet wurden und einen tiefen Austausch mit ihr hatten.

Cicely Saunders hat den liebenden Gott erfahren, dessen „Licht gewissermaßen durch alles hindurch leuchtet und alles korrigiert“. Dieses Licht, diese Liebe hat sie, nach eigenen Angaben nur wenige Male, in den Augen der Sterbenden gesehen. „Es machte mir deutlich, dass unsere Arbeit wirklich an der Kante zwischen zwei Welten stattfindet. Und es gibt Dinge, von denen wir manchmal einen kurzen Blick erhaschen. Aber sie geben uns ein Vertrauen auf etwas, das dort auf uns wartet. Wenn mich also jemand fragt: „Glauben sie wirklich an ein Leben nach dem Tod?“ – Ich glaube, ich habe schon einen flüchtigen Blick davon erhascht.“ (aus Cicely Saunders, Brücke in eine andere Welt, S. 146)

Christine Schwung